Eine berührende Geschichte über Einsamkeit, Tod und Herrn Sakai, der mit seinen Mitarbeitern Leichenfundorte reinigt. Ein weiteres feinfühliges Werk der in St. Pölten geborenen Schriftstellerin.
Die 25-jährige Takada Suzu lebt zurückgezogen mit ihrem Hamster Punsuke in einer kleinen Wohnung. Von ihren direkten Nachbarn, dem älteren Ehepaar Fuji, hört sie meist nur die Stimmen durch die dünnen Wände. Auch an ihrem Arbeitsplatz als Aushilfskellnerin in einem Familienrestaurant bleibt sie Einzelgängerin. Der soziale Kontakt mit Kolleginnen ist nicht das ihre, das Leben der Anderen interessiert sie nicht.
Doch auch wenn Suzu gerne allein ist, so schlummert in ihr doch eine Einsamkeit, die auch Punsuke nicht verdrängen kann. Da sie bei einigen Dating-Sites ein Profil eingerichtet hat, lernt sie einen Jungen kennen, mit dem sie sich ein paar Mal trifft. Bis er eines Tages nicht mehr auf ihre Nachrichten reagiert und so tut, als kenne er sie nicht. Suzu wurde Opfer des sogenannten „Ghosting“, davon betroffen sind Menschen, die von ihren Partnern plötzlich ohne Vorwarnung fallen gelassen werden. Kurze Zeit später verliert sie außerdem ihren Job. Die Begründung des Restaurant-Geschäftsführers ist, dass es ihr an dem „sozialen Plus“ fehlt, dass die Kunden sich erwarten, wenn sie bedient werden. Er rät ihr, sich eine Arbeit zu suchen, bei der sie möglichst wenig mit Menschen zu tun hat.
Auf eine ihrer, spät, aber letztendlich doch verschickten Bewerbungen für verschiedene Jobs, meldet sich ein Herr Sakai bei ihr. Suzu erfährt erst vor Ort, dass es ihre Aufgabe sein wird, Wohnungen zu reinigen, in denen Menschen verstorben sind, die dort für längere Zeit unentdeckt geblieben sind. In Japan nennt man diese Fälle „Kodokusha“ oder „Kodokushi“.
Bevor die Wohnungen betreten werden, spricht Herr Sakai, der einzig nur für seine Arbeit lebt, ein Sutra und bereitet die Verstorbenen darauf vor, dass ihre Wohnung nun betreten wird. Nach der Reinigung wird in einem der Räume ein kleiner Altar aufgebaut. Gibt es Verwandte der Verstorbenen, übergibt man ihnen eine Erinnerungsbox.
Die Sichtweise von Suzu auf ihre Mitmenschen verändert sich aufgrund dieser speziellen Arbeit, zum ersten Mal erwacht Empathie in ihr. Durch ihre Tätigkeit begegnen ihr skurrile, aber liebenswürdige Figuren wie etwa ihr Kollege, der im Nachnamen ebenfalls Takada heißt und sich immer die Daumennägel poliert (und mit dem sie sich später anfreunden wird) oder „Mrs. Langfinger“, die aus lauter Einsamkeit süße Gummidrops stiehlt, damit sie wieder ins Gefängnis kommt, um ihrer Tochter nicht zur Last zu fallen. Bei einem von Herr Sakai veranstalteten Kirschblüten-Picknick ist unter anderem ein Buddhist dabei, der ein großer Fan der Beatles ist und dem seine LP-Sammlung den Weg ins Nirwana verwehrt.
„Oben Erde, unten Himmel“ ist ein einfühlsamer Roman über Einsamkeit, Tod und sozialer Isolation. Und doch herrscht hier keine überwiegend traurige Stimmung- Flašar schreibt trotz dieser Thematik in heiterem, öfter auch humorvollen Ton und verleiht ihrem Roman dadurch eine bezaubernde Leichtfüßigkeit. Ein wunderbares Buch, welches zum Nachdenken anregt.
Milena Michiko Flašar
Oben Erde, unten Himmel
Roman | Wagenbach, 2023
304 Seiten | € 26,80
Bewertung: ★★★★★
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