Nadja Bucher – Die Doderergasse

 

 

 

 

 

 

 

In ihrem skurrilen Roman haucht Nadja Bucher dem Wiener Schriftsteller Heimito von Doderer neues Leben ein und lässt diesen als Mädchen in einer nicht ganz so noblen Gegend das Licht der Welt erblicken.

Heimito von Doderer wird 1976 als Marie wiedergeboren und lebt nun in der Doderergasse der Wiener „Großfeldsiedlung“ in einem Plattenbau. Widerwillig versucht der Dichter, sich mit dieser absurden Situation abzufinden, denn könnte dies nicht auch die Chance sein, seinen „Roman No. 7/III“ zu vollenden?

Doch zuerst einmal müssen Marie und ihr „Gast“ dem Kleinkinderalter entkommen. Während das Baby entzückt mit seinen Zehen spielt und diese freudig in den Mund steckt, langweilt sich Doderer gewaltig. Seine verwöhnte Nase leidet außerdem fürchterlich unter vollen Babywindeln.

„Bestialischer Gestank verbreitete sich um das Kind, folglich auch um mich, der es gewohnt war, im frischen Duft von Eau de Lavande zu wandeln. Reflexartig schnappte ich nach Luft, was jedoch folgenlos blieb. Marie atmete unbeeindruckt weiter.“

Als Marie im Kindergarten Isa kennen lernt und sich mit ihr anfreundet, erlebt Doderer eine Überraschung: auch der Architekt Adolf Loos wurde wiedergeboren. Wenn die Mädchen zusammen sind, haben die Herren nun die Möglichkeit für Gespräche, bei der sie häufig nicht derselben Meinung sind. Loos ärgert sich unter anderem darüber, dass Doderer tatsächlich glaubt, er könne auf Marie einwirken. Dieser bezeichnete Loos in einem früheren Gespräch als „Totengräber des Spitzdachs“.

Als Leser*in begleitet man natürlich nicht nur die Wiedergeborenen, sondern auch die beiden Mädchen, ihre Freuden und Sorgen, mit denen sie im Kindergarten, in der Volksschule und in der Freizeit konfrontiert werden. Besonders der um ein paar Jahre ältere Karli und seine Gang haben es auf die beiden abgesehen.

Nadja Bucher ist mit ihrem neuen Roman eine vergnügliche, zum Teil tragische, und intelligente Geschichte gelungen, die zu lesen es sich lohnt. Der intellektuelle Austausch zwischen Doderer und Loos hätte aber durchaus etwas umfangreicher sein können.

Das Buch ist auch eine feine Zeitreise für all jene, die in den 80er Jahren mit „Am dam des“, Pippi Langstrumpf, Aktenzeichen XY oder den Liedern „99 Luftballons“ und „Ein bisschen Frieden“ aufgewachsen sind.

Nadja Bucher – Die Doderer-Gasse oder Heimitos Menschwerdung
Milena, 2020 | Hardcover
222 Seiten | € 23,00

 

Claudia Zawadil
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Claudia Zawadil
DI (FH); beim City-Flyer seit März 2002, schreibt Buchrezensionen und Ankündigungen und fotografiert gelegentlich bei diversen Events. Ebenso ist sie Radiomoderatorin (BlackXplosion), Arthouse Cinema-Fan und Vinyl-Lover.

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      miss_marple
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        In ihrem skurrilen Roman haucht Nadja Bucher dem Wiener Schriftsteller Heimito von Doderer neues Leben ein und lässt diesen als Mädchen in einer nicht ganz so noblen Gegend das Licht der Welt erblicken.

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