Mit Trap, Drill oder Grime hat CHiLL-iLL nichts am Hut. Die 14 Tracks auf seinem neuen, aufwendig gestalteten Album „Raum & Zeit“ bauen auf Drumbreaks und geile Samples im Stil des BoomBap-Hip Hop der alten Schule. Zu hören sind die Songs erstmals am 24. November. Einen Tag später findet die Album Release Show im Wiener Chelsea statt.
Text: Werner Harauer
Foto: Fabian Fallend, z.V.g.
City-Flyer: Ich habe kürzlich eine Statistik gelesen in der es heißt, dass sich die heutige Jugend erst hinter Videospielen, Filmen und Literatur für Musik interessieren. Was veranlasst dich dazu, das Album „Raum & Zeit“ auf den Markt zu bringen, wenn sich die Jugendlichen immer weniger um Musik kümmern?
CHiLL-iLL: In erster Linie mach ich Musik für mich selbst. Da denk ich also vorerst an keinen Markt, der für Mundart-Rap ja ohnehin begrenzt ist. Der Markt ist generell nicht groß für alternative Musik aus Österreich, würde ich mal behaupten. Was mir genauso wichtig ist, dass ich neben der Jugend auch weiterhin meine Altersgruppe erreiche. Hip-Hop wurde heuer 50 Jahre alt, da reden wir also schon lange nicht mehr nur von Jugendkultur.
Aber es kann durchaus stimmen, wenn ich mir gewisse Entwicklungen der letzten Jahre ansehe, dass das Interesse mittlerweile woanders liegt. Ich arbeite ja auch seit einigen Jahren direkt mit Jugendlichen und bin neben der Musik als Lehrlingsausbilder tätig, wo man gewisse Strömungen hautnah mitbekommt. Ausnahmen bestätigen aber die Regel, da gibt es sehr wohl auch junge Menschen die sich noch immer durch die Musikhistorie diggen und das zum Glück dem Zocken vorziehen.
CF: Mit dem rabiaten Hip-Hop wie man ihn aus Deutschland kennt, hast du nichts am Hut. Du predigst Frieden, Loyalität, Empathie und Zufriedenheit, während die Stars mit Hatespeech Millionen verdienen. Bedrückt dich das?
CHiLL-iLL: Ich verstehe was du meinst und sehe da auch eine gewisse Problematik. Der Anspruch und die moralische Hemmschwelle werden immer niedriger. Ich höre auch viel weniger Deutsch-Rap im Vergleich zu früher, im Mainstream spricht mich da kaum was an. Aber man darf natürlich nicht alle über einen Kamm scheren, da gibt’s definitiv viele Ausnahmen, die das Bild zum Glück wieder geraderücken. Ich würde also nicht direkt sagen, dass es mich bedrückt, da es diese Gegenbewegung gibt, die immer noch auf starken Inhalt setzt, die leider nur nicht ganz so stark an der Oberfläche schwimmt.
CF: Du bist von St. Pölten nach Linz gezogen und nach Jahren wieder in deine Heimatstadt zurückgekommen. In Linz gibt es für österreichische Verhältnisse eine große Hip Hop Szene. Wo kannst du in St. Pölten andocken? Wo gibt es Auftrittsmöglichkeiten?
CHiLL-iLL: Im Sommer sind es schon wieder vier Jahre seit ich zurück bin. Wie wir alle wissen, war da auch eine gewisse Pause und Durststrecke dazwischen, in der die Clubs lange geschlossen waren und es kaum Auftrittsmöglichkeiten gab. Ich finde, dass man diese Nachwehen auch noch immer an einigen Ecken spürt – gerade die Independent-Künstler. Ich persönlich habe auch sehr lange die Lust auf’s Live spielen verloren und mich ins Studio zurückgezogen, bis auf wenige Ausnahmen und ein paar DJ-Gigs. In dieser Zeit war es auch egal wo du warst, ob St. Pölten, Linz … whatever. Der einzige Lichtblick war, dass ich hier wieder an alte, musikalische Freundschaften andocken und diese vertiefen konnte – mit dem kleinen Kreis rund um Z-Ko, Flo Knixx oder e.kwality.
CF: Aber warum eine LP? Warum hast du „Raum & Zeit“ nicht auf EPs verteilt? Viele Künstler*innen ziehen heute das EP-Format vor.
CHiLL-iLL: Es gab neben den Alben in der Vergangenheit auch etliche EP’s oder Singles von mir und ich verstehe auch, dass man so häppchenweise die Musik vielleicht besser zugänglich macht. Das Vorhaben zum „Raum & Zeit“-Album habe ich lange mitgeschleppt und ich wollte es seit Beginn an unbedingt im LP-Format umsetzen – auch zum ersten Mal mit einem schönem Gatefold-Vinyl, inkl. Booklet mit allen Lyrics und einem Download-Code. Dieses umfangreiche Album und die aufwendigere Aufmachung liegen mir besonders am Herzen, weil ich aktuell nicht sagen kann, ob das vielleicht mein letztes Rap-Album ist. Ich wollte da nochmal alles reinpacken.
CF: Auf „Raum & Zeit“ finden sich 14 Tracks. Du hast davor laufend Tracks veröffentlicht. Sind die alle auf dem Album zusammengefasst, oder waren die Alben-Tracks bisher unveröffentlicht?
CHiLL-iLL: Vier Singles kamen in den letzten zwei Jahren digital raus, die sich jetzt auch auf dem neuen Album endlich physisch befinden. Der Rest inklusive der neuen Video-Single „Amoi So Amoi So“ mit Antrue aus Linz, sind alles neue Tracks die noch keiner kennt.
CF: Deine Texte handeln von globalen Ungerechtigkeiten, du thematisierst Armut und Krieg und setzt dem Unheil deine Zuversicht und Empathie entgegen. Sind die angebracht angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen rund um uns?
CHiLL-iLL: Ich habe zwar nicht immer Lösungen parat, aber immer einen Funken Hoffnung, den ich trotz der schwermütigen Themen mit meiner Musik transportieren möchte. Denn das ist noch immer etwas, an was wir Menschen uns schlussendlich festhalten können, genau in solchen Krisenzeiten braucht es Zuversicht. Ich denke, gut verpackte Musik kann in solchen Zeiten generel auch eine heilende Wirkung zeigen, oder zu mindestens Situationen erträglicher machen.
CF: Du bezeichnest „Raum & Zeit“ als gesellschaftliche und persönliche Zeitreise. Gesellschaftlich hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Hast du an dir auch eine Entwicklung festgestellt? Hast du gewisse Meinungen und Einstellungen geändert?
CHiLL-iLL: Ich konnte gerade in der erwähnten Live-Pause im Studio als auch im visuellen Bereich wachsen und viel Nutzen aus dieser Zeit ziehen – viele neue Projekte sind in dieser Zeit entstanden. Seit es den Plan zu diesem Album gibt, habe ich mich mehr oder weniger auch beruflich verändert und Ausbildungen gemacht. Privat gab es einige Umzüge, sowohl was Wohnraum als auch Studio betrifft. Die letzten Jahre waren also geprägt von stetigen Veränderungen, Höhen und Tiefen, aber eben auch neuen Perspektiven und Zielen. Wie immer im Leben gibt es aber auch noch genug Schwächen an denen ich arbeiten möchte.
CF: Im Song „Vateilung“ kommt die Textzeile „wir alle sitzen im gleichen Boot“ vor. Meinst du nicht, dass wir alle auf einem Schiff sitzen? Wir Wohlhabenden am Kapitänsdeck schauen mehr oder weniger betroffen auf die Milliarden im Maschinenraum, denen das Wasser bis zum Hals steht. Ein wenig Umverteilung wird da nicht reichen.
CHiLL-iLL: Seit es den Song gibt sind auch wieder einige Jahre ins Land gezogen, wo sich gerade etliche Thematiken, die ich angesprochen habe, auf dem ganzen Planeten noch stärker zugespitzt haben und die Welt noch komplexer geworden ist … was ich mit dem Song eigentlich sagen möchte – und da kommt wieder mein Optimismus zum Vorschein – ist, dass wir uns in meiner Vision alle auf der gleichen Ebene dieses besagten Schiffes befinden, gemeinsam das Bewusstsein schaffen, um ein besseres Gleichgewicht herzustellen, dass uns genau vor diesem Kentern bewahrt. Irgendwie muss man diesen Gerechtigkeitssinn aufrechterhalten und ich versuche den Glauben an die Menschheit nicht zu verlieren, auch wenn das aktuell oft sehr schwer fällt. Die letzte Zeile im Refrain „Es föht uns aun nix, doch die Vateilung scho“ fasst das ganz gut zusammen – denn es gibt noch Wege um z.B. den Welthunger oder den Klimawandel einzudämmen und in eine andere Richtung zu steuern – und neben Politik, Industrie und Wirtschaft sitzen wir eben alle im gleichen Boot um das zu ändern und sind gefordert mit anzupacken.
CF: Im selben Song ist auch die Gitarre von J. M. Knoll zu hören. Auch in einigen anderen Songs verwendest du instrumentelle Sounds von Musikern. Wie verändert der Einsatz von Gitarre und Bass den Charakter eines Songs?
CHiLL-iLL: Ich fand einen organischen Hybrid aus samplebasierten Beats gepaart mit eingespielten Add-Ons immer schon interessant – braucht es vielleicht nicht bei jedem Track, aber es kann manchmal für noch mehr Dramaturgie im Spannungsbogen eines Songs sorgen. Wenn ich da zum Beispiel an den Album-Song „Zarissenheit“ denke, wo unter der Strophe sehr oft passende Gitarren-Licks zu diversen Textzeilen dazu gespielt wurden, dann unterstreicht dass diese Parts noch um etliches mehr und die Story bekommt dadurch noch mehr Tiefe.
CF: Ich habe den Eindruck, es gibt nirgends so viele Kollaborationen wie im Hip Hop. Worin siehst du den Vorteil, wenn – wie in deinem Fall – ein Dutzend Musiker an einem Album arbeiten?
CHiLL-iLL: Hip-Hop war schon immer Community. Das ist das, was ich an dieser Kultur so schätze. Es gab auch noch einige andere Songs mit Gästen, die es leider nicht auf‘s Album geschafft haben. Diverse Zusammenarbeiten verleihen einem Projekt erstens immer mehr Abwechslung und zweitens auch neuen, wichtigen Input von außen. Man kann Songs ganz anders strukturieren, sich gegenseitig pushen und beim Texten Bälle zuwerfen, vor allem unterschiedliche Stimmen und Flows machen es oft aus. Eingespielte Sounds oder Nummern mit Live-Band zu performen, können das Ganze ebenso nochmal aufwerten und auf ein anderes Level heben. Gemeinsam an Musik arbeiten macht immer mehr Spaß. Natürlich muss es passen und stimmig sein, erzwingen kann man eh nichts.
CF: Ist auf „Raum & Zeit“ auch ein Kollabo-Projekt wie „L.A. 2 L.A.“ vertreten, auf dem ein Afroamerikaner rappt und du im mostviertlerischen Dialekt konterst?
CHiLL-iLL: Ja, bei „I Told You“ feat. Wordsworth zum Beispiel – einer der wenigen Representer-Tracks. Wordsworth kommt ursprünglich aus Brooklyn/New York, der unter anderem auch auf Alben von A Tribe Called Quest oder Blackstar (Mos Def & Talib Kweli) vertreten war. Wir haben den Song schon 2015, damals noch in Linz bei mir gemeinsam aufgenommen, wo man sich auch inhaltlich viel ausgetauscht hat. Hier war natürlich auch das Vocal-Sample eine gute Vorlage zum Track bzw. zu den Lyrics.
CF: Die Soul- und Jazzeinflüsse auf dem Album sind unüberhörbar. Wie unterscheidet sich die Musik von jener aus deinem Side-Projekt Mr.Freed, in dem du auch viele Soul- und Jazzsamples einbaust- ausgenommen der nicht vorhandenen Texte?
CHiLL-iLL: Grundlegend unterscheidet sich bei den beiden Projekten das Soundbild. Bei CHiLL-iLL-Songs sind die meisten Beats mehr an den klassischen BoomBap angeleht, das heißt meist etwas härtere Drums, eher straighte Arrangements und Sample-Chops und auch die Abmischung ist anders im Zusammenspiel mit den Vocals. Da gibt es auch Songs die nicht auf Jazz oder Soul-Samples basieren – „Quadratschädel“ hat zB starke elektronische Einflüsse.
Bei Mr. Freed sind die Arrangements zum Teil verspielter, es gibt mehr Breakdowns, öfter auch Sample-Switches und viel mehr Instrumente und Variation in einem Song. Vor allem sind die Drums um einiges softer gemischt, der Groove swingt mehr und diese Tracks sind eben mehr im Lofi-Hip-Hop oder Chillhop angesiedelt. Manche schmeißen auch alles in den gleichen Topf, aber hier liegt der feine Unterschied einfach im Detail.
CF: Was hat es mit dem Staummtisch auf sich? Welche Rolle ist dir da zuteil?
CHiLL-iLL: Keine (haha) – „Da Staummtisch“ aus Linz ist seit 2004 eine eigenständige Band und auch Teil der TTR-Allstars. Ich bin also kein Mitglied – habe die Crew und das ganze Tonträger-Umfeld aber durch meine Zeit in Linz besser kennen- und schätzen gelernt. Insbesondere sind mit dem Rapper Antrue (Staummtisch-Member) etliche Projekte in der Vergangenheit entstanden. Mit ihm entsteht auch gerade ein neues Label (Soulchain Records), wo wir viel im Hintergrund arbeiten. Hier liegt der Fokus auf österreichische Beat-Produktionen für internationale Rap-Artists – da wird es spätestens ab nächstes Jahr etwas zu hören geben.
CF: Du produzierst und arrangierst die Tracks selbst, du schreibst die Texte, rappst und gestaltest das Layout deiner Tonträger. Ist das im Hip Hop üblich?
CHiLL-iLL: Es gibt ein paar „Producer on the Mic“, wie man so schön im Fachjargon sagt, ist aber eher die Ausnahme bei uns, würde ich meinen. Sofern man aber kein Label, keinen Vertrieb oder kein Management im Rücken hat, wie bei mir der Fall, ist man als Künstler in der heutigen Zeit ja eh schon alles in einer Person – „Producer, Songwriter, Grafiker, Booker, Webdesigner, Marketing-Manager…“, das trifft auf sehr viele Artists zu – ist manchmal leiwand, weil man so alles unter Kontrolle hat, manchmal aber auch richtig mühsam. Da ich Solo-Künstler bin, bleibt dann automatisch die meiste Arbeit an mir selber kleben. Langsam wird’s mir aber auch schon zu viel, um ehrlich zu sein.
CF: Das Mastering übernimmt nicht nur im Hip Hop in der Regel eine andere Person. In deinem Fall stammt es von Flip. Warum mastert man seine Songs nicht auch selbst?
CHiLL-iLL: Meiner Meinung nach braucht es für qualitatives Mixing und Mastering nicht nur jahrelange Erfahrung im entsprechenden Genre, sondern auch die geeignete Raum-Akustik und das richtige Equipment. Oft reicht da ein kleines Homestudio nicht aus. Bei den instrumentalen Releases mache ich das Mastering in der Regel zwar selbst, aber alles was im Zusammenspiel mit Vocals steht, sprich meine Rap-Songs, gebe ich gerne in andere Hände. Der Mix ist hier allerdings noch essentieller. Das ist schon eine eigene Wissenschaft. Gerade dann, wenn man alles selbst produziert, recordet und die Tracks schon hundertmal gehört hat, schadet für den letzten Feinschliff auch ein gesunder Abstand nicht.
CF: Boombap-Beats sind jetzt nicht unbedingt state of the art im Hip Hop. Meinst du, diese Retro-Sounds aus den 90er Jahren werden in absehbarer Zeit wieder gehyped.
CHiLL-iLL: Klar sind andere Spielarten wie Trap, Drill oder Grime seit Jahren am Vormarsch, aber BoomBap-Hip Hop hat noch immer seine Berechtigung und kommt auch in letzter Zeit wieder etwas mehr zur Geltung. So wie die 808 im Trap nicht wegzudenken ist, so werden die Drumbreaks oder das Sample-Digging im BoomBap nicht so schnell aussterben. Ich bin jedenfalls froh, dass die Spielwiese im Hip-Hop breit gefächert bleibt und all das koexistieren kann.
CF: Am 24. November wird das Album „Raum & Zeit“ offiziell erscheinen. Einen Tag später hast du mit Da Stammtisch im Wiener Chelsea die Album Release Show. Die Release Show deines letzten Albums fand noch im Freiraum in St. Pölten statt. Hast du St. Pölten punkto Hip Hop schon abgeschrieben? Wann sieht und hört man dich in St. Pölten?
CHiLL-iLL: Auf keinen Fall, es hat sich nur leider kurzfristig für eine Release-Show von „Raum & Zeit“ in St.Pölten nichts Passendes ergeben. Nächstes Jahr gibt’s definitiv ein paar Shows in der Heimatstadt, soviel kann ich verraten! Im Frühling folgen hoffentlich, wenn alles gut läuft, eine Tour zum Album und im Sommer ein paar Festival-Shows.
CF: Vielen Dank für die Einblicke in dein abwechslungsreiches Leben. Wir hoffen auf eine baldige „Raum & Zeit“ – Live-Show von dir.
„Raum & Zeit“ erscheint am 24. November 2023 auf Vinyl.
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