Alle zwei Jahre nimmt der «musik stp»-Sampler eine Standortbestimmung der lokalen Popmusik vor. In der Literatur fehlte diese bisher. Mit der Anthologie «Ungebunden», die am 29. Oktober im Rahmen des «Blätterwirbels» präsentiert wird, schließt man diese Lücke. Herausgeberin Corinna Annemarie Bergmann gibt Auskunft über die Entstehung der Textsammlung.
Wie kam es eigentlich dazu, das Potential der St. Pöltner Literaturszene mittels einer Publikation ausloten zu wollen? Der Grundstein für die Anthologie wird während eines Brainstormings mit Kulturamtsleiter Alfred Kellner über neue literarische Projekte gesetzt, als Corinna Annemarie Bergmann und Peter Kaiser die Idee einer Textsammlung heimischer Autor*innen in den Raum werfen. Gute Idee! Jetzt braucht es einen Plan.
Mit dem Auftrag ein Konzept zu schreiben und Theresia Radl, die neue Leiterin der Stadtbücherei mit ins Boot zu holen, verlassen die beiden Mitarbeiter*innen des Magazins für Poesie «Die Brache» die Sitzung.
„Noch vor der offizielle Ausschreibung habe ich als Erstes schon etablierte Autor*innen gefragt, ob sie Lust und Zeit hätten, mitzuwirken“, zeichnet Bergmann die Entstehungsgeschichte des Kompendiums nach. Die Reaktion auf die Ausschreibung übertrifft alle Erwartungen. Insgesamt 90 Werke werden eingereicht, wobei Themen und Stil erheblich variieren. Auch die Bewerber*innen unterscheiden sich wie gewünscht durch Geschlecht, Bekanntheitsgrad und Alter.
Schnell wird klar, dass mit den ursprünglich angedachten 20 Autor*innen im Buch unmöglich ein Querschnitt der St. Pöltner Literaturszene abgebildet werden kann. Nun liegt es an den Jurymitgliedern alle Texte zu lesen und anschließend bei einem gemeinsamen Treffen die Textauswahl festzulegen. „Ich hatte vor der Jurysitzung mit mehr Meinungsverschiedenheiten gerechnet, aber letztendlich waren wir uns bei fast allen Werken bald einig“, so Bergmann zum Auswahlverfahren.
Die Namen der 50 Autor*innen, die es in die Anthologie geschafft haben, will Bergmann noch nicht preisgeben. Doch soviel sei verraten: „Die Prosatexte überwiegen deutlich und heiß diskutierte Themen wie Migration, LGBTQA+ oder Mobbing fanden Eingang in die Anthologie.“
Text: Werner Harauer
Foto: Claudia Zawadil, z.V.g.
City-Flyer: Die Idee, die Werke St. Pöltner Musiker*innen auf Schallplatte zu kompilieren, wurde mit dem „Musik STP Sampler“ umgesetzt. Lässt sich diese Idee so einfach auf Literat*innen umlegen?
Corinna Annemarie Bergmann: Das würde ich schon sagen. Wir haben in dem Buch die unterschiedlichsten Autor*innen (Geschlecht, Bekanntheitsgrad, Alter) bzw. Themen und Textsorten untergebracht.
CF: Hast du die Idee an Kulturamtsleiter Alfred Kellner herangetragen?
Corinna Annemarie Bergmann: Die Idee kam von Peter Kaiser und mir. Alfred Kellner wollte ursprünglich ein Treffen mit den „BRACHE-Leuten“ (zu jenem Zeitpunkt war ich noch nicht einmal Redaktionsmitglied), um Ideen für neue literarische Projekte zu sammeln. Ich bin da zuerst nur zufällig „reingeraten“, weil Johannes Schmid, der Herausgeber, den Termin nicht wahrnehmen konnte und Peter auch noch nicht sicher wusste, ob er verfügbar wäre. Also sollte ich statt den beiden hingehen und Die Brache vertreten. Peter war aber dann doch dabei und im Laufe des Gesprächs entstand dann die Idee mit der Anthologie, die vorerst noch eine Art „Almanach“ sein sollte. Schließlich haben wir ein Konzept entwickelt und es dann Alfred Kellner präsentiert, der schließlich Theresia Radl, die neue Leiterin der Stadtbücherei, mit ins Boot geholt hat.
CF: Wie viele Autor*innen versammelt die Anthologie? Wie gewichtet sind darin junge Künstler*innen?
Corinna: Es sind genau 50 Autor*innen, wesentlich mehr als geplant. Wir hatten insgesamt fast 90 Einsendungen. Darunter sind, was mich ganz besonders freut, einige junge Autor*innen, sogar ein paar im Teenageralter. Ein engagierter Lehrer der HAK hat seine Schüler*innen von der Ausschreibung informiert und sie ermuntert, mitzumachen. Leider konnten wir nicht alle annehmen, aber meiner Meinung nach sind einige Talente darunter. Ich hoffe sehr, dass sie weiterschreiben und sich nicht von einer Absage entmutigen lassen.
CF: Kannst du uns schon einige Namen nennen, die in der Anthologie vertreten sein werden?
Corinna: Das soll eine Überraschung werden.
CF: Wie steht es um den literarischen Nachwuchs?
Corinna: Für die 6. BRACHE hatten wir z.B. geplant, ausschließlich junge Autor*innen bis 30 Jahre zu veröffentlichen und es haben sich auch einige mit sehr guten poetischen Texten beworben. Zwar war die Anzahl der Nachwuchsautor*innen zu gering, um ein reines Jugendheft herauszubringen, aber das liegt auch daran, dass wir die Ausschreibung über die Sommerferien stattgefunden hat und einige das nicht mitbekommen haben. Ich fürchte auch, dass sich viele, die erst seit Kurzem schreiben und ihre Texte noch niemandem gezeigt haben, nicht trauen. Mir ging es als Jugendliche jedenfalls so.
CF: Wie ist die Gewichtung Lyrik/Prosa?
Corinna: Die Prosatexte überwiegen deutlich. Ungefähr ein Viertel der Texte sind Gedichte.
CF: Zurzeit heiß diskutierte Themen wie Migration, Mobbing oder LGBTQA+ fanden Eingang in die Anthologie. Gibt es in der Literatur ebenfalls Trends wie in der Musik?
Corinna: Ja, das merke ich ganz deutlich, seit ich in einer Buchhandlung arbeite. Die genannten Themen findet man vermehrt in der Kinder- und Jugendliteratur. Vor allem zu LGBTQA+ gibt es mittlerweile viel. Aber auch die Literatur für Erwachsene enthält diese Themen.
CF: Schreiben Autor*innen eigentlich heute noch lustige Texte?
Corinna: Selbstverständlich.
CF: Welche Aufgaben hattest du als Herausgeberin inne?
Corinna: Ich habe als Erstes etablierte, bekannte Autor*innen gefragt, ob sie Lust und Zeit hätten, mitzuwirken, Druckereiangebote eingeholt, die Ausschreibung formuliert, die Jury bestimmt. Wir haben dann alle Texte gelesen und uns anschließend zur Auswahl getroffen., die Texte lektoriert, am Layout gearbeitet, den Klappentext verfasst und die Anthologie beworben.
CF: In welchen Vereinen/Organisationen bist du noch engagiert?
Corinna: Ich arbeite seit Mai 2022, gemeinsam mit Johannes Schmid (Herausgeber), Peter Kaiser, Jonathan Perry und Antonia Leitner, an der BRACHE (Magazin für Poesie) mit und veröffentliche dort auch meine eigenen Texte. Die Präsentation der 6. BRACHE findet ebenfalls im Blätterwirbel statt.
CF: Gab es innerhalb der Jury große Wertungsunterschiede die Werke der einzelnen Künstler*innen betreffend? Oder fiel die Wahl meist einstimmig aus?
Corinna: Ich hatte vor der Jurysitzung mit mehr Meinungsverschiedenheiten gerechnet, aber in Wirklichkeit waren wir uns bei fast allen Werken ziemlich einig.
CF: Was erwartet die Gäste bei der Präsentation am 29. Oktober?
Corinna: Auf jeden Fall eine Lesung mit ein paar der AutorInnen.
CF: Nun wird die Anthologie im Rahmen des Blätterwirbels präsentiert. Ist ein Literaturfestival wie der Blätterwirbel nicht der geeignetere Rahmen für die Vorstellung der Künstler*innen und deren Werke? Schließlich stehen sie im Programmheft neben prominenter Kolleg*innenschaft.
Corinna: Jede literarische Veranstaltung ist ein perfekter Rahmen für ein neues Projekt….
CF: Gibt es noch Autor*innen, die ihre Texte auf Papier schicken? Und wie handhabt ihr dann, dass die vorgeschriebene Wortanzahl nicht überschritten wird?
Corinna: Ja, wir haben diese Möglichkeit in der Ausschreibung angeboten, weil es Menschen gibt, die keinen Computer bzw. keine E-Mail-Adresse haben. Drei Texte haben wir per Post bekommen. Es handelte sich dabei um kurze Gedichte, deren Zeichenanzahl überschaubar war.
CF: Wird es kommendes Jahr eine neue Anthologie geben?
Corinna: Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber es gibt in St. Pölten so viele literarische Talente, dass eine weitere Anthologie eine gute Idee wäre.
Die Anthologie „ungebunden“ wird im Rahmen des „Blätterwirbel“ am Sonntag, 29.10.23, 11:00 Uhr im Stadtmuseum St. Pölten bei freiem Eintritt vorgestellt. Nach einer kurzen Präsentation der Publikation werden jeweils zwei der etablierten sowie zwei der weniger bekannten Autor*innen ihre Werke dem Publikum vorstellen.
Der „Blätterwirbel“ bietet seit 2006 jedes Jahr im Oktober ein umfassendes Programm rund um das Thema Literatur. www.landestheater.net/de/blaetterwirbel
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